Die Grenzen der Anpassung II
Wie wirkt sich Klimawandel auf Flucht und Konflikte aus? Ein Interview mit der Klimaökonomin Lisa Thalheimer, die nach Antworten auf diese Frage sucht.
In Somalia gefährdet die derzeitige Rekorddürre das Leben und den Lebenswandel von Millionen von Menschen. Für den Laufe dieses Jahres wird projiziert, dass mehr als acht Millionen von einer Nahrungsmittelkrise betroffen sein werden. Mit Beginn der Dürre 2016 schoss die Zahl der Binnenvertriebenen von gut einer Million auf knapp drei Millionen in die Höhe. Gleichzeitig herrscht im Land seit 1991 Bürgerkrieg. Kann man beantworten, wie viele dieser Menschen durch Klimawandel, wie viele durch Konflikt vertrieben wurden?
Die Klimaökonomin Dr. Lisa Thalheimer erforscht als Senior Researcherin an der United Nations University die Auswirkungen des Klimawandels und konzentriert sich dabei auf extreme Wetterereignisse und menschliche Mobilität in Trockengebieten. Sie versucht die Dynamiken von Migrationsbewegungen zu entschlüsseln und dabei die Auswirkungen des Klimawandels zu isolieren. Dafür kombiniert sie Methoden aus Klima– und Wirtschaftswissenschaften. Ihre Arbeit ist ein Teilgebiet der Attributionsforschung, also der Frage, in wie weit man isolierte Wetterereignisse auf den Klimawandel zurückführen kann.
Du forscht zu den Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf Migrationsbewegungen. Insbesondere hast du dir Somalia angeschaut. Was macht dieses Land so exemplarisch dafür?
In Somalia kommt vieles zusammen: Armut, Nahrungsunsicherheiten, politische Fragilität, Konflikte, Vertreibung – aber auch wiederkehrende Extremwetter-Ereignisse von Dürre bis zu Überflutungen. Zudem ist es wenig erforscht. In Somalia ist die Datenlage schlecht was Wetteraufzeichnungen angeht. Zum Beispiel gibt es im globalen Norden Wetterstationen, die so gut wie immer alles aufzeichnen. In Somalia existieren diese nicht oder wurden durch den langanhaltenden Bürgerkrieg zerstört. Es gibt dort andere Prioritäten.
Zusammen mit Kollegen hast du kürzlich eine Studie dazu veröffentlicht. Was konntet ihr feststellen?
Wir schauen uns sowohl Temperaturen als auch Niederschläge an – speziell die Anomalien. Wenn es zum Beispiel in einem Monat wärmer oder trockener ist als sonst. Das haben wir zusammen mit Daten zu Vertreibung und Konflikten innerhalb Somalias in ein mathematisches Modell eingefügt.
Da sehen wir einen extremen Effekt auf Vertreibung. Wir haben herausgefunden, dass es vierfach mehr Vertriebene gibt, wenn Niederschläge ausbleiben. Bereits ein Anstieg um 1° C gegenüber normalen Temperaturen hat ausgereicht, um zwischen 2016 und 2018 zehnfach mehr Menschen innerhalb des Landes zu vertreiben. Das heißt, wir sehen auf jeden Fall einen extremen Effekt von Dürre auf Vertreibung.
Zudem haben wir uns angeschaut, welche Rolle Konflikte bei Vertreibung spielen. Die sind in Somalia an der Tagesordnung. Da ist es so, dass es 50 Mal mehr Vertriebene gibt.
Und wir haben herausgefunden, dass Vertriebene keinen Effekt auf neue Konflikte beziehungsweise auf Konflikte haben, die schon bestehen. Die Annahme, dass Migranten oder Vertriebene Konflikte mit sich bringen, sehen wir in unserer Studie nicht bestätigt.
In Eurer Studie habt ihr Euch die Auswirkungen von Extremwetterereignissen angeschaut. Wie hängen diese mit dem Klimawandel zusammen?
Die Motivation für unsere Studie war eine andere Studie, die sich das im Zeitraum 2016 bis 2017, also am Anfang der Dürre angeschaut hat. Sie konnte aber keinen Link zwischen Dürre und Klimawandel feststellen.
Die Dürre am Horn von Afrika hält bis heute an. Ältere Menschen, die ich in Somalia getroffen habe, haben mir erzählt, dass sie eine solche Dürre noch nie erlebt haben. Ich habe oft das Gefühl, dass die Wissenschaft dem Klimawandel hinterher rennt und dadurch vieles positiver erscheint, als es ist.
Ich kann das nachvollziehen. Als Wissenschaftlerin hinkt man der Realität in dem Sinne hinterher, dass erst etwas passieren muss, damit wir dann darauf reagieren können und wissenschaftlich geprüfte Schlüsse zu den Auswirkungen des Klimawandels ziehen können.
Wir sind daran interessiert, unsere Arbeiten zu aktualisieren. Aber wir haben auch einfach nicht die Ressourcen. Wir haben extrem viele Anfragen, Attributionsstudien durchzuführen. Aber das können wir nicht leisten. Aber seit 2014 gibt es die World Weather Attribution Initiative, wo wir uns auf freiwilliger Basis zusammenfinden und schauen, welchen Einfluss der Klimawandel auf Extremwetterereignisse hat.
Gerade hat diese Initiative eine Studie zur Dürre in Somalia veröffentlicht. Darin hast du dir die Klimaauswirkungen auf besonders schwer getroffene Bevölkerungen angesehen. Was sind die Ergebnisse?
Der Fingerabdruck des Klimawandels ist klar in der Dürrezeit 2021 und 2022 zu erkennen. Allerdings sind es Verletzlichkeiten und realisierte Risiken, die zu Bevölkerungskatastrophen führen. Aus diesem Grund schauen wir uns die Auswirkungen von chronischer Dürre auf Vertreibung und Konflikte näher an. In Somalia geben wir Dateneinblicke zu den Arten der humanitären Hilfe, die von Dürre- und Konflikt-vertriebenen Menschen am meisten benötigt wird. Ganz vorne sind Nahrung und eine Unterstützung der Existenzgrundlage dabei. Das war auch schon vor dieser Dürre der Fall, es ist aber in den letzten zwei Jahren besonders schlimm geworden.
Es heißt oft, der Mensch habe sich immer an neue (Klima-)Bedingungen angepasst. Wie können die Menschen am Horn von Afrika darauf reagieren?
Am Horn von Afrika kommen so viele Probleme zusammen, dass die Menschen große Schwierigkeiten haben, sich anzupassen. Es kommen immer wieder neue Extremwettereignisse und es ist im Vorhinein nicht klar, wie intensiv sie sind und wen und wie viele Menschen sie betreffen.
Seit Jahren wird vor Klimaflucht gewarnt. Ich glaube, dass viele Menschen sich darunter vorstellen, dass Menschen versuchen, beispielsweise aus Somalia nach Deutschland zu kommen. Wie sieht die Realität aus?
Migration gehört seit langer Zeit zu der Realität der Menschen am Horn von Afrika. Dafür gibt es heute verschiedene Gründe über Extremwetter hinaus, zum Beispiel bessere Jobs in nahegelegenen Städten oder ein soziales Netzwerk.
Und dann ist es in der Forschung klar, dass es kurze Distanzen sind, die die Leute migrieren, oft innerhalb ihres Landes. Grenzüberschreitende Migrationsströme kommen sehr selten vor.
Ein Punkt, der oft vergessen wird, dass es nicht nur Mobilität, sondern auch Immobilität gibt, dass Menschen angesichts von Extremwetterereignissen nicht migrieren können, sich nicht aus der Gefahrenzone wegbewegen können, weil ihnen die Ressourcen fehlen.
Welche Schlüsse sollte die internationale Gemeinschaft aus eurer Forschung ziehen?
Unsere policy recommendations sind antizipierende humanitäre Hilfe – also zu intervenieren bevor Naturrisiken zu Naturkatastrophen werden. Zum Beispiel arbeitet das Rote Kreuz mit Universitäten und NGOs zusammen um mit Hilfe von ortsgenauen Wettervorhersagen frühzeitig die betroffene Bevölkerung zu warnen und so Schäden zu minimieren; genauso könnten Vertreibung und Migration in Risikoanalysen aufgenommen werden, um das Risiko von Vertreibung gering zu halten und Anpassung und langfristig Resilienz zu ermöglichen. So könnte die Wissenschaft das Rote Kreuz unterstützen, datenfundierte Finanzierungsmechanismen automatisch dann bereit zu stellen, wenn durch eine Vorhersage eine Extremwetterwarnung ausgelöst wurde. Das ist ein Finanzierungsbeispiel, um Klimawandel zu bekämpfen und um Menschen zu erreichen, die davon betroffen sind.