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Von meinem Schreibtisch auf Sota la Quinta im katalanischen Llémena Tal überblicke ich einen wunderschönen Garten. Die Pfirsich-, Birnen- und Pflaumenbäume blühen pink, hellrosé und weiß. Gestern Abend habe ich die Hochbeete gewässert – illegalerweise. Es ist Frühjahr und wir sind in einer Dürre. Der nächstgelegene Stausee ist gerade einmal zu zehn Prozent gefüllt. Vor einem Jahr war es knapp doppelt so viel. Der Bach im Tal ist in weiten Teilen versiegt und wo noch Wasser ist, explodieren Algen und Wasserlinsen. Deshalb wurde der Wasserverbrauch eingeschränkt. Den Garten zu Wässern ist verboten. Einzig Bäume darf man am Leben halten. Pro Person und Tag ist der Verbrauch auf 230 Liter beschränkt. Überschreitet man das, drohen Strafen von bis zu 150.000 Euro. Angemessene Maßnahmen angesichts dieser Dürre, denke ich.
Aber ich höre von mein Schreibtisch auch Baugeräusche großer Maschinen. Unten im Dorf wird die Schinkenfabrik erweitert. 20 Millionen investiert das Unternehmen – Pernils Llémena – dafür. Vor ein paar Tagen bin ich an der Baustelle vorbei gekommen als ein Traktorfahrer gerade den Boden dort gewässert hat, damit es nicht staubt.
Seit Jahren projizieren Modellierer:innen für Spanien eine Zunahme von Dürren. In weiten Teilen des Landes wird Landwirtschaft kaum mehr möglich sein. Vergangenes Jahr ist die Olivenernte in Andalusien auf unbewässerten Feldern um 80 Prozent eingebrochen, auf bewässerten Feldern um die Hälfte – dabei vertragen Oliven Hitze und Trockenheit besser als die allermeisten Bäume.
In dieser Situation, entgegen aller Vorhersagen und eingetretener Realitäten entsteht jetzt also eine 20-Million-Euro-teure Erweiterung einer Schinkenfabrik. Ich kann nur spekulieren, wie viel Wasser dort jeden Tag verbraucht werden wird, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das mit der derzeitigen und schon gar nicht mit der kommenden Wasserknappheit vereinbar ist. Es ist mir unverständlich, wie die Erweiterung genehmigt werden konnte.
Aber dass sie politisch durchgesetzt werden konnte, dass viele Menschen hier im Dorf dahinter stehen, folgt einem Muster. Dahinter steht eine der größten Lügen unserer Zeit: Alles geht weiter wie bisher. Unser Wohlstand mehrt sich, unser Konsum steigt weiter und das Klima retten wir nebenher mit Technologieoffenheit und Forschung, aber ohne uns in irgendeiner Form einzuschränken. Dabei werden wir schon jetzt von der Realität eingeholt.
Olivenöl mag ein Luxusprodukt sein, aber es illustriert eindrücklich, was kommen wird: weltweit ist die Produktion – vor allem durch die Hitzewelle in Spanien – um zehn Prozent eingebrochen. Die Preise sind um 50 Prozent in die Höhe geschossen. Vergangenes Jahr bin ich durch Europa gereist. Von Ungarn bis Frankreich, von Brandenburg bis Katalonien bot sich mir das gleiche Bild: verdorrte Sonnenblumenfelder. In Deutschland sind die Erträge bei Körnermais 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent eingebrochen – obwohl die Fläche um fünf Prozent größer wurde.
Die kommende Inflation durch die Klimakrise, so weit lehne ich mich aus dem Fenster, wird in den nächsten drei Jahren die Inflation in 2022 in den Schatten stellen. Trotzdem scheinen Politiker:innen mit der Lüge, dass alles weitergehen kann, wie bisher, Kapital schlagen zu können.
Eine kleine Auswahl:
Die FDP hat Deutschlands Ansehen in der EU gefährdet, um den Verbrenner zu retten. Es ist ausgeschlossen, dass E-Fuels jemals in der Masse ankommen werden. Sie können physikalisch nicht über eine katastrophale Effizienz von etwa 25 Prozent kommen. Will man bis 2030 nur 20 Prozent der derzeitigen Fahrzeugflotte in Deutschland auf E-Fuels umstellen, bräuchte man dafür die Energiemenge des gesamten in Deutschland produzierten Ökostroms. Es bräuchte zusätzlich einen 80-fachen Ausbau von Windenergie. In der Bevölkerung scheint aber angekommen zu sein, dass klimaneutrale Verbrenner eine realistische Option seien. Zwei Drittel sind gegen ein Verbrennerverbot.
Es ist völlig unstrittig, dass wir unseren Fleischkonsum reduzieren müssen, wollen wir Klimaziele erreichen. Die Fleischindustrie ist für bis zu 25 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Eine vegane Diät ist laut IPCC am besten für das Klima. Markus Söder hingegen macht aus Fleischverzehr ein Kulturkampf-Thema und insinuiert, die politischen Gegner wollten Fleisch verbieten: “Die Grünen diskutieren dann noch, ob man nicht lieber Insekten wie die Hausgrille oder den Getreideschimmel-Käfer essen soll.” Mehr als die Hälfte der Bayern ist mit Söders Arbeit zufrieden.
In Berlin will die CDU die A100 erweitern – in Neusprech nennt sie das einfach “Klimaautobahn”. Christian Lindner argumentiert mit Klimaschutz für Straßenausbau. Es sind solch dreiste Unwahrheiten, dass es mir schwer fällt, überhaupt die Anstrengung zu unternehmen, sie zu widerlegen. Es ist Quatsch. Für mehr Argumentation bin ich zu müde.
Jens Spahn behauptet, man kann die Gasheizung behalten und klimaneutral betreiben, wenn man mit Photovoltaik auf dem Dach Wasserstoff im Keller produziert. Es ist eine Lüge. Es funktioniert technisch nicht.
Friedrich Merz will keine “Systemdebatten” und fordert zur Bekämpfung der Klimakrise “C02-Rückgewinnung aus der Luft” und Speicherung im Boden. Momentan werden weltweit 10.000.000 Tonnen CO2 aus der Luft zurück gewonnen. Es müsste bis 2030 6.000 Mal so viel sein, um Net-Zero bis 2050 zu erreichen. Die größte Einheit der Welt, die sowohl CO2 aus der Luft holt als auch im Boden bindet, steht in Island. Sie speichert pro Jahr 4.000 Tonnen CO2– etwa so viel wie Taylor Swifts Privatjet.
Die einzige Klimaschutz-Maßnahme, die so gut wie nichts kostet und von einem Tag auf den anderen umgesetzt werden kann, ist das Tempolimit. Die FDP verhindert das mit dem Verweis auf klimaneutralen Verkehr, der irgendwann in der Zukunft kommen soll. Es gibt nur keinen “klimaneutralen” Verkehr. Nicht jetzt und nicht in naher Zukunft.
Und zuletzt noch diese Perle:
Hinter nichts davon steht eine verordnete Einschränkung, die unsere Leben signifikant verschlechtern würde. Tempolimit bedeutet weniger Abgase, genau wie das Ende des Verbrenners. Eine Wärmepumpe heizt genau wie eine Gasheizung. Die wirklichen Einschränkungen kommen durch unseren Unwillen zur Veränderung: Ohne Schnee kann man nicht Ski fahren, wichtiger noch, im Sommer werden Flüsse ohne Schmelzwasser austrocknen – 2022 war nur ein Vorgeschmack. Und in Kaskaden werden sich die Auswirkung in alle Lebensbereich ausbreiten: Energie, Transport, Landwirtschaft, Trinkwasser – alles wird von mangelndem Schnee betroffen sein. Und für mehr Schinken aus dem Llémena Tal wird es bald einfach nicht genug Wasser geben.
Hinter alle diesen politischen Lügen, Halbwahrheiten und Nebelkerzen steht die große Lüge, dass alles weiter gehen kann, wie bisher. Keine Anstrengungen, keine Einschränkungen. Und sie verfängt. Anders kann ich mir nicht erklären, dass in Berlin 400.000 Menschen aktiv gegen ambitionierteren Klimaschutz gestimmt haben.
„Wir finden wichtig, dass das Thema vorangebracht wird, aber es ist nicht möglich, dass Berlin bis 2030 klimaneutral ist,” sagte Franziska Giffey vor dem Volksentscheid.„Und das muss man den Leuten auch klipp und klar erklären. Alles andere ist Augenwischerei.“ Die Botschaft auch hier: keine Anstrengungen, keine Veränderungen.
Aber es gibt genau zwei Möglichkeiten: Wir reduzieren unseren Konsum, arbeiten aggressiv daran den Klimawandel zu verlangsamen oder die Physik übernimmt die Einschränkungen für uns. Letzteres passiert schon jetzt und wird nur noch hässlicher. Mangelnder Schnee und Schinken sind wie ein Flimmern im System, das den Kollaps ankündigt. Aber wir merken das so lange nicht, so lange die Einbrüche in der Lebensmittelproduktion auf andere, ärmere Länder abgewälzt werden können. Ich finde, das muss man den Leuten auch klipp und klar erklären. Alles andere ist Augenwischerei.