Die Suche nach der Zukunft unseres Essens
Landwirt Benedikt Bösel versucht, auf einem der trockensten Standorte Deutschlands Strategien für ein unberechenbares Klima zu entwickeln.
Wir reden zu wenig über Nahrunsgmittelsicherheit. Wenn es eine Auswirkung der Klimakrise gibt, die mich wach hält, ist es das. Momentan produzieren wir mehr als genug Kalorien und Nährstoffe, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren. Aber zum einen ist das ungerecht verteilt, zum anderen gibt es Zeichen, dass sich das ändert.
Vergangenes Jahr ist der Olivenölertrag auf unbewässerten Feldern in Andalusien um 80 Prozent eingebrochen. In einigen spanischen Regionen musste die Getreideernte komplett abgeschrieben werden. Im amerikanischen Georgia, dem selbsterklärten Peach State, gibt es dieses Jahr so gut wie keine Pfirsiche. In Indien war die Tomatenernte so schlecht, dass sich der Preis verfünffacht hat und Gemüsehändler:innen Bodyguards für Tomaten anheuern.
Auch in Deutschland kämpfen Landwirt:innen mit Hitze, Dürre, Starkregen, aber vor allem mit der Unberechenbarkeit dieses neuen Klimaregimes. Daher müssen Strategien entwickelt werden, wie man Nahrungsmittelproduktion resilienter gegen Klimaschocks macht.
Ein Problem bei der Umstellung zu anderen Landnnutzungssystemen ist, dass die bisherigen sehr ertragreich funktioniert haben und deshalb wenig hinterfragt wurden. Mit künstlichem Dünger, Herbiziden, Pestiziden und Fungiziden, angetrieben von billiger fossiler Energie haben wir auf immer größeren Monokulturen enorme Erträge erzielt. Das war sehr effizient, aber für diese Effizienz haben wir Resilienz geopfert. Das System funktioniert nur unter günstigen Bedingungen. Wenn man zum Beispiel in Georgia komplett auf Pfirsiche setzt, ist das zwar effizient, aber wenn – wie jetzt geschehen – die Winter zu warm für Pfirsiche werden, bricht das System komplett zusammen und es gibt keine alternative Ernte, die diese Verluste auffangen kann.
Das Phänomen der Konzentration auf wenige Ertragssorten ist nicht nur regional begrenzt, auch global nimmt Diversität massiv ab. Wir bekommen Sushi in Brandenburg und Pizza in Japan, aber das täuscht Diversität nur vor. Weltweit essen wir immer mehr vom Gleichen. Während megafoods wie Soja, Palmöl, Sonnenblumen, Weizen und Raps immer größeren Anteil an der globalen Kalorienversorgung haben; bricht der Anteil von Sorghum, Hirse oder Roggen massiv ein. Das ist effizient, aber nicht resilient.
Wie das anderes funktionieren kann, versucht Landwirt Benedikt Bösel, 38, herauszufinden. Nach einigen Jahren in der Finanzwirtschaft hat er 2016 den Betrieb seiner Eltern im brandenburgischen Madlitz übernommen: 1.000 Hektar Ackerland und 2.000 Hektar Forst.
War die Getreideernte in einem Jahr schlecht, fing die Holzernte die Verluste auf. Doch damals begannen die Dürrejahre in Brandenburg und das System konnte sich nicht mehr gegenseitig stützen. Benedikt stand vor der existentiellen Frage, wie man auf den Brandenburger Sandböden in den kommenden Jahren weiter Nahrungsmittel produzieren kann.
Benedikt baut wie seine Eltern weiterhin Biogetreide an, aber daneben hat er vermutlich das europaweit größte, privat betriebene Freiluftlabor für nachhaltige, klimaresiliente Landnutzung aufgebaut. Die Erkenntnisse daraus setzen er und seine Mitarbeiter:innen nach und nach auf großen Ackerflächen um. Ich habe für die Recherche meines Buches viel Zeit auf seinem Betrieb Gut und Bösel verbracht. Für diesen Newsletter habe ich Benedikt nochmal erklären lassen, was in Madlitz genau passiert.
Was macht ihr eigentlich?
Wir leben und arbeiten in einem der trockensten Standorte Deutschlands mit sehr, sehr sandigen Böden. Für Land- und Forstwirtschaft ist das eine große Herausforderung. Vor allem, weil das Wetter hier immer unberechenbarer wird.
Als ich 2016 hier in meine frühere Heimat zurückkam, dachte ich, dass die Lösung für die Herausforderung, die wir hier haben, in Technologie liegt. Ich wollte eine digitale Farm mit Drohnen, Robotik und sonst was aufbauen.
Dann habe ich gemerkt, dass Technologie zwar ein interessantes Instrument sein kann, aber ich bin mir auch der regionalen Bedürfnisse des Ökosystems bewusst geworden. Und ich habe verstanden, dass wir dieses Ökosystem in das Zentrum unseres Handelns stellen müssen.
Was bedeutet das?
Wir glauben, Methoden der Landnutzung identifiziert zu haben, die Böden und Ökosysteme aufbauen und qualitativ hochwertige Lebensmittel produzieren. Weil dieser Anspruch sehr hoch ist, haben wir früh auf Wissenschaft, Forschung und Datenerhebung gesetzt. Wir haben immer gesagt: Wenn wir in so einer schwierigen Region zeigen können, dass diese Methoden ökonomisch, ökologisch und sozial funktionieren, dann werden sie zu irgendeinem Zeitpunkt einen großen Beitrag hin zu nachhaltigerer Landwirtschaft leisten können – eventuell sogar zu einem Paradigmenwechsel beitragen.
Wenn es an diesem Standort gelingt, ist die Beweisführung erbracht, dass es auch an anderen Orten funktionieren kann. Das muss natürlich an den jeweiligen regionalen und ökologischen Kontext angepasst werden, aber wenn es funktioniert, hier profitabel zu wirtschaften, dann ist klar, dass es auch an anderen Standorten geht.
2021 haben wir die Finck Stiftung gegründet, die unsere Arbeit wissenschaftlich begleitet. Sie kooperiert mit Forschungsinstituten. Die Erkenntnisse wollen wir dann open source zur Verfügung stellen. Parallel machen wir Bildung und Ausbildung, derzeit hauptsächlich über Praktika und Workshops. Und zuletzt setzen wir hier Naturschutzprojekte um, zum Beispiel die Vernetzung von Biotopen oder das Renaturieren von alten Feldsöllen.
Darüber hinaus bist du viel in der Öffentlichkeit.
Wir wollen die Wertschätzung und Wahrnehmung der Landwirtschaft und ihrer Leistungen verbessern. Diese geht weit über Primärproduktion hinaus. Es ist die große Frage unserer Zeit: wie produzieren wir weiterhin Nahrungsmittel, erhalten dabei Ökosysteme und wappnen uns vor dem Klimawandel. Das machen wir mit einem Buch, einer Doku-Serie und vielen Auftritten in TV und Radio.
Der größte Teil deines Betriebs ist Getreideanbau auf 1.000 Hektar. Was heißt das konkret, wenn du von anderen Methoden sprichst?
Viele Methoden, die wir hier erforschen, werden in kleinen Kontexten schon umgesetzt, aber wir machen sie in einem anderen Maßstab. Da ist zum Beispiel unser Agroforst, also die Verbindung von Ackerbau und Forstwirtschaft. Wir versuchen, Streifen von Bäumen auf die Felder zu bringen, die in sich geschlossene, intakte Ökosysteme sind. Sie sollen ohne Wasser und Dünger funktionieren, weil sie aus den symbiotischen Wechselbeziehungen der Komponenten des Systems leben können. Damit wollen wir zudem langfristig hochwertige Lebensmittel in Form von Obst und Beeren produzieren.
Wir arbeiten mit syntropischen Agroforstsystemen, das ist eine spezielle, komplexere Variante, die sich an der sukzessiven Entwicklung natürlicher Wälder orientiert. Mittlerweile haben wir fünf solcher Systeme. Im Herbst beginnen wir die Pflanzung des wahrscheinlich größten syntropischen Systems Europas auf 30 Hektar.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir für einen so extremen Standort keine Bäume einkaufen können, die unseren Ansprüchen an Vitalität und Resilienz genügen, sondern vom Samen aus denken und der Natur die Möglichkeiten der Selektion zurück geben müssen. Dafür haben wir eine Baumschule aufgebaut, die nach diesem Prinzip arbeitet.
Wie helfen Baumstreifen dem Getreideanbau?
Die Baumstreifen, die gleichmäßig über den Acker verteilt sind, verändern das Mikroklima dazwischen. Sie kühlen und reduzieren die Windgeschwindigkeit auf dem Acker und verringern so Verdunstung. Damit kann die Feuchtigkeit länger von Pflanzen aufgenommen werden. Baumstreifen schützen auch vor Erosion durch Wasser, weil sie es in tiefere Schichten bringen. Zuletzt haben die Wachstumsdynamiken dieser Streifen einen Einfluss auf die Bodenbiologie, fördern nützliche Bodenpilze und schaffen Lebensraum für Nützlinge.
Funktioniert das überall?
Man muss das an den regionalen Kontext anpassen. An einem Standort mit viel Feuchtigkeit ist das Letzte, was du willst, den Wind auf den Feldern aufzuhalten, da so die Pilzgefahr für das Getreide deutlich steigt. Und wenn ich eine starke Hanglage habe, würde ich die Baumstreifen nicht entgegen der Windrichtung pflanzen, um Winderosion zu minimieren, sondern entlang der Höhenlinien, um Wasser zu halten und in der Fläche zu verteilen.
Es gibt die romantische Vorstellung, dass es auf einem Bauernhof Rinder, Weiden und Äcker gibt. Aber vor allem in den flachen Regionen ist es so, dass es entweder Getreide- oder Viehbetriebe gibt. Eine der ersten Änderungen, die du umgesetzt hast, war die Integration von Rindern. Was ist die Idee dahinter?
Es ist wichtig zu verstehen, dass das früher alles zusammen war, weil Ökosysteme so funktionieren. Dann haben wir das Bedürfnis gehabt, günstig Masse zu produzieren und haben dabei Ökosysteme auseinandergerissen, Vieh, Forst und Feld separiert. Wir versuchen die Dinge wieder zusammenzufügen, weil wir davon überzeugt sind, dass wir dadurch die symbiotischen Wechselbeziehungen der einzelnen Komponenten nutzbar machen.
Es geht dabei um Resilienz der Ökosysteme sowie gleichzeitig Risiko-Diversifizierung. Unterschiedliche Arten der Landnutzung reagieren anders auf klimatische Veränderungen. Und je diverser, desto resilienter ist dein Betrieb. Das System kann sich gegen Schocks zu Wehr setzen.
Die Trennung von Vieh, Forst und Feld hat auch auf die Systeme ausgestrahlt, die hinter der Landwirtschaft stehen: Technologie, Wissenschaft, der Zugang zu Land, Finanzierung, Agrarpolitik und Bildung und Ausbildung waren alle auf diese Trennung fokussiert. Wir haben heute weder Wissen noch Daten oder Maschinen, um Landwirtschaft zu reintegrieren. Die Werkzeuge, die wir brauchen, um uns den Herausforderungen anzupassen, sind am wenigsten erforscht. Unsere Arbeit versucht hier einen Beitrag zum Schließen dieser Lücke zu leisten.
Welche Funktion haben die Rinder in eurem System?
Inzwischen haben wir die Rinder auf 550 Hektar in unseren Ackerbau integriert. Sie rotieren zwischen Sommer- und Winterweide. Damit wollen wir Humus, Nährstoffe und Biodiversität aufbauen und die Wasserspeicherfähigkeit erhöhen. Schon heute sehen wir, dass wir auf diesen Flächen große Mengen an Kohlenstoff* in den Boden bringen können.
Durch die Integration können wir Maßnahme, die heute meist nur Kosten sind – also Untersaaten und Zwischenfrüchte – als Futter für die Kühe nutzen und so einen gewissen Teil der Kosten wieder zurückholen.
Ihr versucht auch durch Kompostierung, Leben in den Boden zu bringen. Wie funktioniert das?
In einer Handvoll gesundem Boden sind mehr Lebewesen als Menschen auf der Welt. Man kann sich den Boden als Haus mit mehreren Stockwerken vorstellen. Es gibt Aufenthaltsräume, es gibt eine Küche, eine Sonnenterrasse, einen Teich. Da leben Mikroben, die das Haus in standhalten. Aber dieses Haus wird alle paar Monate eingerissen – wenn wir da mit dem Pflug oder der Egge durchziehen. Über die Kompostierung versuchen wir, dieses Haus wieder aufzubauen und mit Leben zu füllen.
Wir stellen mit der Kompostierung hoch diverse biologische Extrakte her. Dabei geht es vor allem um die Mikroorganismen, die sich im Kompost bilden. Damit beizen wir unser Saatgut, bevor wir es ausbringen. Das wenden wir auf 1.000 Hektar an. Das ist sehr effizient, wir brauchen nur etwa einen Kubikmeter dieser Extrakte, um diese Fläche zu bespielen.
Sollte man nicht versuchen, dieses metaphorische Haus gar nicht erst abzureißen?
Wir versuchen, unseren Boden so wenig wie möglich zu bearbeiten, um das Bodenleben nicht zu stören, was bei unseren Böden allerdings schwierig und nicht immer sinnvoll ist. Damit der Boden vor Erosion und Austrocknung geschützt bleibt, halten wir ihn ganzjährig bedeckt, nutzen Zwischenfrüchte und Untersaaten, die wir etwa mit Getreide säen und dann einen Wachstumsschub bekommen, wenn wir das Getreide ernten. Und wir haben Fruchtfolgen und -mischungen, die durch Diversität resilienter sind.
Du warst kürzlich bei einer Bundestagsanhörung zur Nahrungsmittelversorgung der Zukunft. Da bist du zu technologischen Lösungen befragt worden, etwa zu so genannten neuen Zuchtmethoden, die im Prinzip präzisere Gentechnik sind. Wie stehst du dazu?
Wenn neue Technologien Mensch und Ökologie in den Mittelpunkt stellen, haben sie sicher das Potential, viele Dinge zu verbessern. Aber in der aktuellen Nutzungsphilosophie, sehe ich das sehr kritisch. Wenn sie nach den gleichen exploitativen Mustern genutzt werden; auf Ertragsmaximierung setzen und dabei extrem hohe ökologische und soziale Kosten verursachen; wenn wir weder Ursache noch Auswirkungen des Klimawandels in Betracht ziehen; wenn Jahr für Jahr mit Hilfe von Chemie das Gleiche angebaut wird, sehe ich neue Technologien eher kontraproduktiv.
Wie kann man Menschen für Landwirtschaft begeistern?
Aus Landwirtschaft kann man noch Hoffnung und Mut schöpfen. Das zieht die Menschen an. Vieles, was wir hier machen, fühlt sich instinktiv richtig an. Wir Menschen sind Tiere, sind Teil der Natur. Wenn man hier draußen ist, weit weg vom Lärm und Licht der Stadt, merkt man, dass vieles, was wir dort machen, nicht sinnvoll ist. Was wir hier wachsen lassen, sieht gut aus, schmeckt gut, riecht gut, ist Genuss und Freude.
Wie sieht dein ideales Gericht von Gut und Bösel aus?
Was hatte ich da gestern? Ah! Onglet, den Stützmuskel des Zwerchfells, scharf angebraten. Dazu gibt es einen rustikalen Kartoffelstampf und Sauerteigbrot mit schöner Butter. Wir wollen uns jetzt Milchkühe für den Eigenbedarf zulegen. Und dann einen frischen, grünen Salat von Ackerpulco, der Marktgärtnerei, mit der wir kooperieren. In die Salatsoße kommt Honig, der Imkerinnen, die hier ihre Bienen haben, ein bisschen Sanddorn, ein bisschen Öl und ein bisschen Apfelessig.
*Eine Tonne Kohlenstoff im Boden bedeutet, dass 3,67 Tonnen Kohlenstoffdioxid nicht in der Luft sind.