Generationenaufgabe Humusaufbau
Ein Gespräch mit Bodenkundler Christopher Poeplau über Klimaschutz in der Landwirtschaft
Landwirtschaft ist für rund 20 Prozent der jährlichen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Damit bietet sie aber auch großes Potential für Einsparung. Das Potential ist enorm. In unseren Böden ist vier Mal so viel Kohlenstoff als in der Atmosphäre. 2015 hat die französische Regierung eine Initiative ins Leben gerufen, in Böden jährlich vier Promille mehr Kohlenstoff zu speichern, der dann nicht mehr als CO2 in der Atmosphäre wäre. Aber funktioniert das?
Bodenkundler Dr. Christopher Poeplau vom Thünen Institut für Agrarklimaschutz hat sich kritisch mit der Vier-Promille-Initiative auseinander gesetzt. Ich habe mit ihm Landwirtschaft und Klimaschutz und den Handel mit CO2-Zertfikaten gesprochen.
Wenn man über die Zukunft nachhaltiger Nahrungsmittelversorgung redet, kann man zwei Pole ausmachen. Die einen sagen, wir müssen so wenig Land wie möglich verbrauchen und können dafür auch auf technische Lösungen zurückgreifen. Auf der anderen Seite gibt es die regenerative Bewegung, die sagt, wir sind da, warum integrieren wir uns nicht mehr in die Ökosysteme? Was sind deine Gedanken dazu?
Das ist unheimlich schwer zu lösen. Ich glaube, man muss weg von eins oder null, schwarz oder weiß. Ich war neulich auf einer Tagung der Internationalen Initiative zur Steigerung von Bodenkohlenstoff. Es ging vor allem darum, Kohlenstoff einzulagern, resistente Böden zu schaffen, und dass wir uns aus diesem intensiven Wirtschaften verabschieden müssen. Aber es ging niemals darum, was wir am Ende ernten und wie viel Fläche wir dafür brauchen.
Wir haben eine wachsende Weltbevölkerung und es geht nicht, die zu ernähren, indem wir alles auf Bio umstellen und dann nur noch höchstens zwei Drittel pro Fläche ernten. Das wird uns Land kosten. Dann müssten wir natürliches Land umbrechen, um weiteres Ackerland zu schaffen. Das führt dazu, dass wir Böden degradieren, was uns Bodenkohlenstoff kostet.
Wie sähe denn ein Kompromiss aus?
Das Verbot von synthetischem Dünger in der Biolandwirtschaft kann ich zum Beispiel nicht nachvollziehen. Man kann synthetischen Stickstoffdünger grün herstellen. Das braucht zwar viel Energie, aber es ist möglich. Aber zum Beispiel auch Phosphor aus Klärschlamm wäre in der Biolandwirtschaft nicht erlaubt, weil es als synthetischer Dünger gilt. Diese Regularien sind nicht wirklich wissenschaftlich fundiert.
Wir müssen schauen, dass die Landwirtschaft nachhaltiger und grüner wird. Zwischenfrüchte, die angebaut werden, wenn Äcker sonst brach liegen, sind sinnvoll und Standard in der Biolandwirtschaft. Aber synthetischen Dünger verbieten, dadurch Erträge liegen zu lassen und Abhängigkeiten zu erhöhen, halte ich nicht für sinnvoll.
Wie könnten wir Land sparen?
Wir können noch immer intensivieren und trotzdem den Boden schützen. Das wäre für mich das Optimum. Unter intensiven wirtschaftlichen Bedingungen produziert man mehr Biomasse, das heißt, es wird mehr Kohlenstoff gebunden. Wenn man diese Biomasse nicht wegfährt, sondern zum Teil auf den Äckern belässt, bringen wir Kohlenstoff in den Boden.
Das geht zum Beispiel nicht, wenn man Biogas aus Mais erzeugt. Solarzellen würden auf der gleichen Fläche 45-Mal so viel Energie bringen, ein Windrad sogar 100-Mal so viel. Damit braucht man auch weniger Land. Wenn es darum geht, Energie auf dem Acker zu erzeugen, sind Energiepflanzen völlig raus. Es ist klar, dass es eine Übergangstechnologie ist, aber wir bauen immer noch so viel Raps und so viel Mais für Gas an. Mit der Fläche könnte man andere Dinge machen.
Wir haben ausgerechnet, dass wir eine Million Hektar Solar bräuchten, um unseren Energiebedarf selbst bei 100 Prozent E-Mobilität zu decken. Wenn wir auf Biogas verzichten, könnten wir uns weiterhin selbst ernähren und dann noch 1.000 andere Dinge überlegen.
Wir haben in Deutschland 16 Millionen Hektar Äcker und Grünland. Ideal wäre es, frei werdende Flächen zu renaturieren. Aber das ist in vielen Fällen unwahrscheinlich, weil es Wirtschaftsflächen sind. Was kann damit ansonsten passieren?
Wir wollen zum Beispiel Plastik ersetzen. Ich glaube, das geht nur, wenn man einigermaßen intensiv wirtschaftet. Aber wir müssen uns hinterfragen, ob wir mit unserer Ernährungsweise auf dem richtigen Weg sind. Und das tun wir in Europa tatsächlich schon.
Wie würde das besser aussehen?
Ganz klar weniger Fleisch und mehr Protein aus der Pflanze. Dass Billigfleisch in eine schmutzige Ecke getrieben wird, finde ich super wichtig. Wenn die Nachfrage sich anpasst, dann wird sich ja auch die Landwirtschaft anpassen. Die Bauern in Deutschland setzen mittlerweile mehr auf Leguminosen, auf Erbsen zum Beispiel. Sie helfen Kohlenstoff in den Boden zu bekommen und sparen gleichzeitig Dünger. Es werden inzwischen in jedem Discounter Produkte auf Basis von Erbsen angeboten. Und ein Erbsenburger schmeckt super. Wo ist das Problem? Das ist ein super Erfolg der letzten Jahre.
Insekten-Proteine sind etwas für mich, wo ich denke, dass man nicht darin investieren sollte. Es scheint mir absurd zu sein, eine neue Form der Massentierhaltung zu etablieren. Das wird wieder neue Krankheitserreger schaffen. Ich glaube, das ist einfach schwierig. Und wenn man Proteine, die in pflanzlichen Produkten oft nicht enthalten sind, durch neue mikrobielle Verfahren herstellen kann, fände ich das sinnvoll. Ich glaube da ist noch Raum für technologische Lösungen wie Präzisionsfermentation. Das kann effektiver sein als zu versuchen, Landwirtschaft schonender zu betreiben, dabei aber Ertragsverluste in Kauf zu nehmen.
Bräuchten wir ein neues Paradigma, das weg von der konventionellen, aber gleichzeitig auch weg von der Biolandwirtschaft geht und technische mit ökologischen Lösungen verbindet?
Ich denke, wir müssen beides zusammendenken. Wir können nicht im großen Stil auf Biolandwirtschaft umstellen. Aber es ist auch so, dass technische Lösungen oft einen ökologischen Background haben – zum Beispiel regenerative Energien. Die Verbindung von Solarzellen und Landwirtschaft zum Beispiel. Ich habe Kartoffelerträge unter Solarzellen gesehen, die höher waren als auf unbeschatteten Flächen.
Aber es gibt auch ökologische Konzepte, die interessant klingen, mob grazing zum Beispiel, also der Ansatz, durch kluges Weidemanagement möglichst viel Photosynthese zu unterstützen. Auch Agroforst-Systeme, also die Verbindung von Acker und Baumstreifen, können sinnvoll sein, weil sie etwa durch Beschattung Evaporation verhindern.
Wir brauchen nicht nur Nahrung von den Äckern, sondern auch Rohstoffe. Was ist da in der Landwirtschaft vielversprechend?
Miscanthus, zum Beispiel das chinesische Schilfgras, produziert viel Biomasse und kann vielseitig eingesetzt werden. Das kann man als Baustoff verwenden. Oder man kann Häuser aus Stroh bauen. Die sehen aus wie ein modernes Haus, aber bestehen aus Strohballen und sind perfekt gedämmt.
Ich war kürzlich an einem Forschungsinstitut der Universität Bonn, wo sie mit Miscanthus erstaunliche Dinge machen, etwa Ziegel, aus denen sie ganze Häuser bauen. Am Ende sagte mein Gesprächspartner zu mir: Warum interessiert sich eigentlich keiner, was wir hier machen? Erst seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine habe sich das geändert.
Bist du über Kernza gestolpert?
Ja, das soll eine mehrjährige Alternative zu Weizen werden. Allerdings ist es noch weit von der Marktreife, vor allem, weil die Erträge von Jahr zu Jahr zurückgehen. Aber wenn man das zwei, drei Jahre stehen lassen und dadurch auf Treibstoff verzichten könnte, den man beim Pflügen verbrauchen würde, wäre es zumindest finanziell sinnvoll. Da könnte man eventuell mit Gentechnik ansetzen. Wie stehst du dazu?
Ich denke, dass es immer gleich verteufelt wird, ist ein bisschen rückständig im Denken. Ich denke, wir sind zu vorsichtig damit. Vor allem lassen wir durch Verbote zu, dass Monsanto und andere im stillen Kämmerlein forschen und dann am Ende mit Saatgut auf den Markt kommen, das sie dann an ihre Produkte koppeln.
[In den USA wird auf zwei Dritteln der Äckerflächen so genanntes Roundup-Ready Saatgut im Paket mit dem Glyphosat-basierten Herbizide Roundup angebaut. Beides kommt von Monsanto. Es ist wohl eines der krassesten Monopole überhaupt.]
In den vergangenen Jahren sind viele Startups entstanden, die CO2-Zertifikate über die Landwirtschaft verkaufen. Funktioniert das?
Anreize für mehr Humus zu setzen finde ich grundsätzlich gut, und auch, dass man dafür die Industrie zur Kasse bitten will. Aber ich bin klar dagegen, jede Tonne CO2 einzeln abzurechnen. Jeder kann sich derzeit noch eigene Regeln ausdenken und da kommen teilweise sehr abenteuerliche Vorschläge heraus.
Kohlenstoff fluktuiert räumlich sehr stark und Änderungen sind extrem schwer zu messen, zudem gibt es ein oberes Limit der Anreicherung, das unter anderem durch Photosynthese bestimmt wird. Wenn man Kompost von außen einbringt, ist es kein Hexenwerk, Kohlenstoff aufzubauen. Aber ist das wirklich Klimaschutz oder ist das einfach nur eine Umverteilung? Die Werte, die in so einem Fall rauskommen, sind nicht real.
Wenn man die Photosynthese-Leistung auf dem Acker erhöht, ist das sinnvoll. Aber man kann das nicht in drei Jahren nachweisen, wie es einige Startups machen. Das ist so gering, dass es unterhalb dessen ist, was man messen kann. Man muss 15 Jahre, 20 Jahre warten oder hunderte Proben nehmen.
Humus aufzubauen ist eine Generationenaufgabe. Wenn jemand sagt, ich habe viel Geld mit Humusaufbau verdient, wäre ich sehr misstrauisch. Es wurde mehrfach aufgedeckt, dass es auf diesem freiwilligen CO2-Markt nicht immer mit höchster Integrität zugeht. Das finde ich schamlos.