Sanktionen auf dem Küchentisch
Was Gas aus Russland mit konventionellem Schweinefleisch zu tun hat? Überraschend viel.
2019 haben wir in Deutschland 55 Millionen Schweine geschlachtet. Schweine (und Hühner) ernähren sich ähnlich wie wir Menschen. Sie können im Gegensatz zu Wiederkäuern keine Gräser verdauen. Deshalb sieht man Schweine nie auf der Weide. Die industrielle Schweinehaltung in den riesigen Masstanlagen in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ist nur mit Kraftfutter möglich. Es gibt in Deutschland nur eine Handvoll Schweinezüchter, der Schweine weitgehend ohne Kraftfutter züchten und sie, wie es früher üblich war, in Wäldern halten.
Die Proteine in Kraftfutter gewinnen Futtermittelhersteller unter anderem aus Soja. Vor allem weil wir global immer mehr Fleisch essen, ist die Soja-Produktion explodiert. In den vergangen 20 Jahren hat sie sich verdoppelt. Auch in Deutschland steigt der Anbau, aber wir haben weiterhin eine Eiweißlücke in der Landwirtschaft. Deutsche Landwirte verbrauchen mehr Eiweiße als sie produzieren. Momentan liegt diese Lücke bei 18 Prozent.
Der Anteil von Schweinen und Hühnern an dieser Eiweißlücke dürfte überproportional groß sein. Ich habe keine direkten Zahlen gefunden, aber einen deutlichen Hinweis: 57,2 Prozent der globalen Soja-Produktion werden an Hühner und Schweine verfüttert. An uns Menschen 20 Prozent und an Rinder 2,9 bis maximal 9,9 Prozent.
In Deutschland produzieren wir knapp 100.000 Tonnen Soja im Jahr. Das reicht nicht im Ansatz, um Schweine und Hühner in der industriellen Haltung zu füttern. Deshalb müssen wir knapp vier Millionen Tonnen Soja importieren. Beinahe die Hälfte kommt aus Brasilien.
Brasilien wiederum ist der größte Düngemittelimporteur der Welt. Künstlicher Dünger auf Basis der Stickstoffverbindung Ammoniak wird unter Einsatz von Erdgas gewonnen. Mit weitem Abstand kommt am meisten Dünger, den Brasilien importiert, aus Russland.
Russland hat viele Jahre etwa die gleiche Menge nach Brasilien exportiert. Aber 2020 begann ein massiver Anstieg. Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Export verdreifacht. Absicherung gegen Sanktionen, könnte man denken.
Mit diesem Dünger verdient Russland so viel wie nie: 2022 hat es 70 Prozent mehr Gewinn gemacht als 2021. Das lag vor allem an gestiegenen Preisen. Mengenmäßig ist der Export 2022 um zehn Prozent gefallen.
Im konventionellen Schweineschnitzel oder Hühnerfrikassee auf unserem Teller steckt sehr wahrscheinlich russisches Gas. Und sehr wahrscheinlich mehr als vor dem Krieg.
Die Lösung? Nur so viel Fleisch essen, wie wir selbst produzieren können. Für die Schweiz hat ein Team der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ausgerechnet, was möglich wäre: 95 Prozent weniger Geflügel, 94 Prozent weniger Schwein. Zumindest beim Schwein geht der Trend in Deutschland in die richtige Richtung: 2022 wurden in Deutschland 47,1 Millionen Schweine geschlachtet. 9,2 Prozent weniger als 2021. Rind könnten wir weiterhin in ähnlichen Mengen essen. Das braucht kein Kraftfutter.