In Deutschland hatten wir die dritte Jahrhundertflut in diesem Jahr. Riesige Teile Brasiliens stehen unter Wasser. Es gab in diesem Jahr rekordbrechende Hitzewellen in den USA, Mexiko, Thailand, Indien - und das sind nur die, die mir gerade einfallen. Jeder der vergangen 12 Monate war der heißeste jeweils gemessene. Die Erderwärmung scheint sich beschleunigt zu haben. Während wir Anfang 2022 noch von etwa 1,2 Grad gesprochen haben, liegen wir seit Mitte 2023 über 1,5 Grad. Und die Auswirkungen sind schlimmer als die Wissenschaft es angesichts der beobachteten Erwärmung prognostiziert hat. Kurz: die Klimakrise ist dramatischer und angsteinflößender als je zuvor. Und was macht die Wählerschaft in der EU? Sie steckt den Kopf in den heißen Sand.
Rechte und wirtschaftsliberale Parteien, die wenig bis gar nichts für den Klimaschutz unternehmen wollen, kommen auf eine absolute Mehrheit. Grüne und linke Parteien stürzen ab. Die einzige Ausnahme ist Volt, die in Sachen Klimaschutz konsequenter gestimmt hat als die Grünen und sich deutlich verbessern konnte – allerdings kommt sie trotzdem wohl nur auf drei Sitze.
Die CDU/CSU will den Green Deal, also dem Plan, die EU klimaneutral zu machen, durch einen Economic Deal ersetzen, bei dem es vor allem um Wirtschaftswachstum gehen soll. "Der zerstörerische Green Deal ist eine Kriegserklärung der EU-Kommission an die Bürger", wetterte ein Europaparlamentarier der österreichischen FPÖ. In Deutschland sieht das Ergebnis besonders düster aus.
Die AfD ist auf ihr bestes Ergebnis bekommen. Selbst innerhalb der europäischen Rechten steht sie mit ihrer wissenschaftsfeindlichen Klimaleugnung alleine da. Während selbst Marine Le Pen in Frankreich und Giorgia Meloni in Italien zumindest rhetorische für Klimaschutz eintreten, vertritt die AfD die absurdeste Schule der Klimaleugnerschaft.
"Klimaschutz ist ein politischer Kampfbegriff, das Klima lässt sich nicht schützen", heißt es in einem Antrag der Partei im Bundestag. Aber es geht noch irrer. Maximilian Krah, der meint, dass nicht alle in der Waffen-SS Kriegsverbrecher gewesen sein, zeigt in Sachen Klimawissenschaft ein ähnlich fundiertes Urteilsvermögen. Er hat sein Wissen dazu laut eigener Aussage vom Physiker William Happer. Den habe er extra besucht. Happer behauptet, dass es völlig unklar sei, dass der Menschen und sein CO2 -Ausstoß irgendwas mit der Klimaerwärmung zu tun habe. Happer ist kein Klimawissenschaftler. Er hat nie dazu geforscht, steht mit seiner Meinung völlig allein da und nimmt in keiner Weise an Klimawissenschaften teil. Er sagt dafür solche Dinge: “die Dämonisierung von Kohlenstoffdioxid ist genau wie die Dämonisierung der armen Juden unter Hitler.”
Es sind nicht nur die Katastrophen, die überfluteten Häuser im Saarland, im Ahrtal, im Allgäu, die Waldbrände in Brandenburg, jeder von uns kann den Klimawandel in seinem Alltag wahrnehmen: die vielen toten Bäume im Wald um die Ecke, das teure Olivenöl im Supermarkt, die Dachgeschosswohnung, die im Sommer kaum bewohnbar ist. Warum dann diese Ergebnisse?
Wir denken kurzfristig und innerhalb unsere eigenen Lebensrealitäten. Und da spielt Inflation und ökonomischer Abstieg momentan eine massive Rolle. Die Reallöhne stagnieren seit Jahren. 2022 sind sie massiv eingebrochen. Beinah fünf Prozent weniger haben die Menschen in Deutschland im Schnitt zum Leben. Die AfD weiß das zu nutzen. Sie hat bei den Ärmsten die besten Zahlen - 33 Prozent der Deutschen mit niedrigen Lebensstandard haben AfD gewählt. Die Partei hat die Frustration über den ökonomischen Abstieg in Wut auf Andere übersetzt: Ausländer, Grüne, Feministinnen, Städter.
Dabei gibt es einen konkreten Grund für ihren Abstieg: Wir haben in Deutschland eine krasse Vermögensschere. Die obersten fünf Prozent besitzen so viel wie der Rest zusammen. Bis 2017 ist die Ungleichverteilung beständig gesunken, seitdem steigt sie beständig. Unter dieser Umverteilung von unten nach oben leiden vor allem finanziell schlechter gestellte Menschen. Dass der ökonomische Abstieg ein Erstarken der Rechten wahrscheinlicher macht, hat diese Wahl eindrücklich gezeigt. Unser Finanzminister sieht das anders. Angesprochen auf Studien, die sagen das Sparpolitik genau diesen Effekt hat, sagt er: “An diese Studien glaube ich nicht.” Auch eine Form von Wissenschaftsleugnung.
Die AfD hat mit ihrer rassistischen, anti-feministischen und wissenschaftsfeindlichen Identitätspolitik gewonnen. Sie konnte alles darunter subsumieren. Anstatt über wirkliche Probleme zu reden, geht es gegen Gendern, Menschen mit Migrationshintergrund, trans Menschen oder die Klimawissenschaft, denn das sind die Anderen. Es ist einfach, sie dafür verantwortlich zu machen, die Wut auf sie zu lenken. Dass die Politik der AfD vor allem den Reichsten zu Gute kommt und die Ärmsten trifft, ist dabei egal geworden.
Was lernen wir daraus? Klimapolitik muss zuerst Sozialpolitik sein. Das Klimageld, was genau diesen Effekt haben soll, steht weiterhin aus. Es hätte als allererstes kommen müssen. Und diese Sozialpolitik muss laut verkauft werden, populistisch. Das macht das narzisstisch benannte Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), das aus dem Stand auf sechs Prozent gekommen ist. Aber das BSW haut in exakt die gleichen identitätspolitischen kerben wie die AfD. Statt Erneuerbare will es lieber russisches Gas. Und sie treten nach unten, gegen Geflüchtete, und gegen progressive urbane Schichten. Das ist nicht links, das ist reaktionär.
Beinah alle Parteien eint Eines: Sie lügen, dass es immer so weiter gehen kann, dass Wachstum immer weiter gehen kann. Ich habe darüber schon vor einem Jahr geschrieben. Am extremsten macht das die AfD, die Grünen immer noch in Schattierungen. Der einzige Politiker, der diese Lüge für einen Moment nicht wiederholt hat, war Robert Habeck. "Wir ziehen mit unserem täglichen Leben eine Spur der Verwüstung durch die Erde und wir kümmern uns nicht drum", sagte er bei Markus Lanz. Es scheint als hätten sich die Wähler in Deutschland entschlossen, der Lüge zu glauben und den Überbringer der Wahrheit abzustrafen.