Wo Nomaden fischen
Somaliland trocknet aus. Eine Dürre folgt der nächsten. Zehntausende Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren. Die Regierung will deshalb Nomaden zu Fischern machen. Kann das gelingen?
Für das Magazin Mare habe ich 2021 in Somaliland eine Geschichte über den Versuch der dortigen Regierung gemacht Nomaden zu Fischern zu machen. Es sollte eine Antwort auf den Klimawandel sein, der dort das Leben der nomadisch lebenden Viehhirten bedroht. Die Dürre dort hält bis heute an und die Attributionsforschung ist kürzlich zu einem klaren Ergebnis gekommen: Ohne Klimawandel gäbe es sie schlicht nicht. Unten ist meine Geschichte. Viel Spaß beim lesen!
Nachdem Muhammed Abdi Ali beinahe seine gesamte Herde verlor, 180 Ziegen, dahingerafft von einer verheerenden Dürre, entschloss er sich, schwimmen zu lernen. Muhammed ist ein hagerer Mann Anfang dreißig. Man sieht ihm an, dass er viele Jahre durch karge, unerbittliche Landschaften gezogen ist, immer auf der Suche nach Weiden und Wasser. Vor fünf Jahren blieb der Regen in Somaliland aus. Anderthalb Jahre fiel kein Tropfen, die Tiere starben, und der Hunger erfasste schließlich auch Muhammeds Familie. Als ihnen nur noch 20 Ziegen blieben, entschlossen sie sich, in die Stadt Burao zu fliehen.
Dort hörte Muhammed, dass er unten am Meer als Fischer arbeiten könne. Er ging in die Hafenstadt Berbera, zog verzweifelt durch die Straßen, bettelte um Arbeit und fand sie schließlich bei einem Fischhändler, auf dessen schmalem, wackligem Boot Muhammed fischen sollte. Die erste Ausfahrt machte ihm so viel Angst, dass er aufgeben wollte. „Ich dachte immer, dass Menschen im Meer sterben“, sagt Muhammed, der wie alle Menschen hier mit Vornamen angesprochen wird. Doch er nahm sich ein Beispiel an seinem Vorarbeiter, der unbeeindruckt Tag für Tag aufs Meer hinausfuhr, dachte sich, „Das kann ich auch“, ging zum Strand und brachte sich selbst das Schwimmen bei.
Die Altstadt Berberas erstreckt sich entlang des Fischereihafens. Sandige Straßen, verfallende Häuser, die Wände mit blauen Fischen bemalt. Aus beinahe jedem Gebäude verkaufen Männer und einige wenige Frauen den Fang der vergangenen Tage. Es scheint, als habe die Fischerei hier eine lange, kontinuierliche Geschichte. Doch es ist nicht allzu lange her, da bekam man in den Geschäften keine Makrelen oder Zackenbarsche, sondern Datteln und Zigaretten. So erzählen es die wenigen alten Fischer der Stadt. Und das, obwohl Somaliland 850 Kilometer Küste mit den reichsten Fischgründen im Nordwesten des Indischen Ozeans hat. Das Land ist von nomadischer Viehzucht dominiert; ein Großteil der Bevölkerung sorgt so für sein Auskommen. Es macht zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts aus. Doch der Klimawandel gefährdet diesen Lebenswandel und dadurch die Wirtschaft des ganzen Landes.
Früher kamen die Dürren im Schnitt alle 15 Jahre. Spätestens seit 2011 ereignen sie sich jährlich. 2017 war die bisher verheerendste. Sie raffte einen Großteil des Viehs dahin, selbst die Bestände der Kamele – Tiere, die wie keine anderen an die Konditionen angepasst sind – dezimierte sie um mehr als die Hälfte. Auf dem Climate Adaptation Index, einer Rangliste, wie gut Länder auf Schocks durch den Klimawandel reagieren können, landete Somalia, zu dem auch Somaliland gezählt wird, bei den Schlusslichtern, obwohl sie zusammen gerade 0,001 Prozent zum globalen CO2-Ausstoß beigetragen haben. Die Fischerei im Golf von Aden verspricht Rettung.
Die Dürre trieb Tausende aus dem Land in die Städte. Einige von ihnen fanden wie Muhammed den Weg ans Meer. Sie suchten Sicherheit in den weitgehend unerschlossenen Fischgründen des Landes. Auch die Regierung sah das Potenzial. 2019 kündigte der Finanzminister Saad Ali Shire an, dass ein großer Teil der Nomaden an der Küste angesiedelt werden sollen: zwei Millionen Menschen bis 2030. Ein ambitionierter Plan für ein Land, in dem knapp sechs Millionen Menschen leben. Vom Fang über den Verkauf bis zum Verzehr sieht man, wie schwierig die Umsetzung dieses Plans sein wird.
Der Fang
In diesen Tagen im Spätherbst beginnt die Saison. Die Stürme sind abgeklungen, die Temperaturen gefallen, und die fetten Fische ziehen aus dem Indischen Ozean in den Golf von Aden. Muhammed Abdi Ali und sein Steuermann Mustafa Muhammed Kani fahren mit dem Sonnenaufgang aus dem Hafen. Ihre Ausstattung ist bescheiden: zwei Spulen mit Angelschnur, zwei Köder, ein rostiger Kühlschrank.
Sie fahren entlang des langen Strands gen Osten. Die Wellen schaukeln das Boot sanft. Es dauert nicht lange, bis die ersten Fische anbeißen: Euthynnus affinis, kleine Verwandte der Thunfische. Sie ziehen einen nach dem anderen aus dem Wasser. Die Angelschnur schneidet in ihre Finger.
Es ist eine schweigsame Ausfahrt. Wenn die Fische für einen Moment nicht beißen, halten die beiden Männer Ausschau. Manchmal kommen die Schwärme an die Oberfläche und kräuseln das Wasser. Und wenn Muhammed sie zuerst sieht, weist er den Steuermann Mustafa darauf hin. Mustafa ist auch ehemaliger Nomade, fischt aber schon seit vielen Jahren. Er hat Muhammed angelernt. Er sei ein guter Schüler, befolge Order, sagt Mustafa über Muhammed.
Drüben am Containerhafen, dessen Kräne den Horizont markieren, liegt die Marineakademie. 2005 wurde sie gegründet, sie soll den Fischereisektor voranbringen, Menschen für die Arbeit auf See ausbilden. Doch die alten Fischer, die sich jeden Nachmittag am Hafen zum Diskutieren treffen, klagen, dass die Rekruten der Akademie nicht für die Arbeit auf See zu gebrauchen sein. Die Nomaden hingegen seien harsche Bedingungen und harte Arbeit gewöhnt.
Nach einigen Stunden auf See kehren Muhammed und Mustafa mit 40 Kilogramm Fang in den Hafen zurück. Mehr lohnt dieser Tage nicht. „Die Stadt ist voller Fische“, sagt Mustafa. Die Preise sind im Keller. Wenn der hiesige Markt gut ist, bekommen sie umgerechnet knapp 1,50 Euro für ein Kilogramm. Wenn er gesättigt ist, brechen die Preise ein. Die Kühlkette reicht bis in die Hauptstadt Hargeisa, etwa drei Stunden entfernt, aber nicht über die Landesgrenzen hinaus. Weil immer mehr Nomaden fischen, hat sich das Problem in den vergangenen Jahrenverschärft. So wie jetzt, wo es keine 50 Cent für das Kilo gibt. Es ist kaum genug zum Leben. Muhammed sagt, dass er seine Frau vor zwei Jahren verlassen musste, weil er sie nicht mehr unterstützen konnte. Er lebt auf der Straße in der Altstadt Berberas.
Die Politik
Die Regierung will also, dass mehr Menschen wie er den Weg aus dem kargen Land an die Küste finden, viel mehr Menschen. Aber die Regierung hat ein grundsätzliches Problem, das vieles hier erschwert: Somaliland ist ein Staat, der keiner sein darf. Nach einem Bürgerkrieg hat es sich 1991 von Somalia abgespalten, ist seitdem de facto unabhängig. Somaliland hat eine Flagge, Polizei, Militär, Währung und eine eigene Identität. International ist es aber nicht anerkannt, man schlägt das Land Somalia zu. Weil Somaliland keine international bekannten Fürsprecher hat – wie es etwa der Filmstar George Clooney für den jungen Staat Südsudan war – und die internationale Gemeinschaft viel auf territoriale Integrität und wenig auf ein Beispiel für erfolgreichen Separatismus hält, hat sich an diesem Status seit 30 Jahren nichts geändert. Das Auswärtige Amt schließt bei seiner Reisewarnung für Somalia Somaliland mit ein. „Seien Sie sich der erheblichen Gefährdung bewusst“, heißt es auf seiner Website. Aber bei der Sicherheit könnte der Unterschied kaum größer sein. Als weißer Journalist bewegt man sich in Mogadischu, Somalias Hauptstadt, nur mit bewaffneten Milizen. In Hargeisa, der Hauptstadt Somalilands, kann man bedenkenlos allein durch die Stadt spazieren.
Wegen dieser seltsamen Schwebe zwischen De-jure- und De-facto-Staatlichkeit blieb internationale Hilfe durch Regierungen oder durch Organisationen der Vereinten Nationen weitgehend aus. Denn rein rechtlich müsste sie über die Regierung in Somalia fließen, doch diese ist maximal dysfunktional. Somalia landet im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Platz 178 von 180.
Seit 2013 gibt es ein spezielles Abkommen, das es der internationalen Gebergemeinschaft erlaubt, Entwicklungsprojekte direkt in Somaliland zu unterstützen. Allerdings wird das Abkommen von Somalia immer wieder torpediert, und Kredite durch die Weltbank sind zum Beispiel davon ausgeschlossen. Daher ist beinahe alles, was heute Somaliland ist, von den Somaliländern selbst geschaffen. Es ist nicht viel. Würden die UN Somaliland in ihren Statistiken berücksichtigen, wäre es beim Pro-Kopf-Einkommen unter den ärmsten 15, das Staatsbudget betrug 2020 mickrige 293 Millionen, Investitionen in die Infrastruktur sind nur begrenzt möglich. Trotzdem bleibt die Regierung optimistisch.
In einem Büro in der Hauptstadt Hargeisa empfängt mich der Direktor für Fischereientwicklung des Ministeriums für Fischerei und Vieh, Ismail Mirre Farah. „Wir glauben, dass das funktionieren kann“, sagt Ismail, „wir glauben, dass die Küstengebiete besiedelt werden können.“ 2015 hatte das Ministerium 2000 Fischer in seinen Statistiken aufgeführt, 2020 waren es doppelt so viele. Ein beeindruckendesWachstum, aber lange nicht schnell genug, um das Ziel bis 2030 zu erreichen.
Bis zu 40.000 Tonnen könnten die Fischer Somalilands Jahr für Jahr nachhaltig fischen, schätzt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Tatsächlich werden davon vielleicht 4.000 Tonnen gefischt, die gerade 0,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. „Die Fischer“, sagt Ismail, „haben eine blendende Zukunft, weil die Fischerei unerschlossen ist.“
Um die Nomaden zu Fischern zu machen, tue die Regierung ihr Möglichstes. Sie versuche etwa die Nachfrage zu erhöhen, indem sie Radiowerbung schalte, mit der sie die Bevölkerung von den Vorteilen des Fischessens überzeugen wolle, erzählt Ismail. Das hat so schon Siad Barre, der einstige Diktator Somalias, in den späten 80er Jahren versucht, mit mäßigem Erfolg. Die Bevölkerung konnte sich einfach nicht für Fisch begeistern, und dann begann der Bürgerkrieg, der die Bemühungen zum Erliegen brachte. Auch der jetzige Plan mit der Radiowerbung scheint nicht wirklich weit gediehen zu sein: Das Ministerium kann die Spots nicht auffinden, und auch in den Archiven der Radiosender sind sie verschollen.
Die Regierung versuche das Angebot zu erhöhen, etwa indem sie Nomaden bei der Umsiedlung zur Küste und dem Berufswechsel unterstütze, sagt der Behördenchef. Nach dem verheerenden Zyklon „Sagar“ im Jahr 2018 habe man 500 Familien unter die Arme gegriffen, sie um die Hafenstadt Zeila angesiedelt und mit Unterkunft und Essen versorgt, sagt Ismail. Sie zu Fischern zu machen sei schwieriger. Es gebe zwar viele, die auf der Suche nach einem neuen Auskommen seien, aber die meisten sind nie zur Schule gegangen.
„Es braucht Zeit, sie zu ändern“, sagt Ismail. Bevor sie sich selbst über Wasser halten könnten, bräuchten sie Monate, um angelernt zu werden. Dafür hatte die Regierung ein Pilotprogramm in Zeila gestartet. Es sollte 70 Nomaden im ersten Jahr eine monatliche Unterstützung zahlen, musste aber nach neun Monaten eingestellt werden, weil das Geld ausging. Fischer in Zeila können sich allerdings nicht daran erinnern, je Unterstützung vom Staat bekommen zu haben.
Immerhin wächst die Infrastruktur; in der Stadt Maydh hat die Regierung gerade eine neue Pier gebaut. Und in fünf Küstenorten habe man Kühlcontainer installiert, sagt Ismail, die sofort Menschen anziehen würden, die sich dort niederließen. Aber es gibt noch ein fundamentales Problem: Nach Zeila führte keine befestigte Straße. Die 360 Kilometer bis in die Hauptstadt sind eine Tagesreise. Der Fisch aus Zeila bleibt also in Zeila. Und so geht es den allermeisten Fischerdörfern. Sie sind nicht an den Rest des Landes angebunden, der große Markt in der Hauptstadt oder gar hinter der Grenze bleibt beinahe unerreichbar.
Der Markt
Aus der Hafenstadt Berbera führen immerhin zwei asphaltierte Straßen ins Landesinnere – eine nach Südwesten in Richtung der Hauptstadt, die andere nach Südosten durch die Berge nach Burao. Hier, wo die Luft trockener und kühler ist, verkaufen ein Dutzend Frauen Fisch aus Berbera unter einem Wellblechdach. Es ist der erste von inzwischen drei Fischmärkten im Land. Jede Frau hier bietet genau einen Fisch an. Zaynab Musa, rundes Gesicht, breites Lachen, ist eine der Fischverkäuferinnen. Auch sie trieb Herden durchs Land – bis das Unheil begann.
Zunächst starb ihr Mann. Neun Jahre ist das her. Wie das geschah? Viel wichtiger sei doch, wie sie ihn kennengelernt habe, antwortet sie. Vor knapp 14 Jahren haben sie sich an einem Brunnen getroffen. Drei Monate redeten sie miteinander, verliebten sich. Irgendwann flüsterte er ihr zu: „Heute Nacht will ich dich mitnehmen. Ich will dich heiraten.“ Als ihre Familie schlief, kam er und nahm sie mit. Fünf Tage später waren sie verheiratet.
Die nächsten Jahre seien wunderschön gewesen, sagt sie. Sie hatten ein strukturiertes Leben: aufstehen, essen, Schafe melken, Schafe ins Land treiben, nach Weiden und Wasser suchen, nach Raubtieren Ausschau halten, Schafe zurücktreiben, melken, essen und am Abend, zurück im Haus, vom Tag erzählen – davon, wo sie Wasser gefunden haben und wohin sie am nächsten Tag wollten. Es seien freudige Gespräche gewesen, sagt sie.
Ihr Mann verstarb schließlich an einer Lungenentzündung, die schöne Zeit endete. Zaynab zog mit dem Rest ihrer Familie weiter. Dann begannen die Dürren. „Die freudigen Gespräche änderten sich, wir sprachen vom Überleben“, sagt sie. Sie schlief mit der Sorge um die vergebliche Suche nach Weidegründen ein. Als ihr noch fünf Tiere blieben, sagte sie zu ihrer Familie: „Wir können hier nicht länger bleiben.“ Sie flohen nach Burao. Durch Zufall lief sie an diesem Fischmarkt vorbei, fragte nach Arbeit und bekam sie.
Somaliland ist so klein, dass es wenig braucht, um das Land fundamental umzustrukturieren. Und wenn man über die Fischerei spricht, kommt man an einer Organisation nicht vorbei: Fair Fishing. Der dänische Journalist Jakob Johannsen gründete sie 2009. Ursprünglich war das Ziel, nicht Nomaden, sondern Piraten zu Fischern zu machen. Damals war Piraterie in den Gewässern Somalias ein enormes Problem. Weil internationale Flotten die Gewässer leer fischten, blieb den lokalen Fischern kaum genug zum Überleben. Die Regierung Somalias vermochte die illegal fischenden Schiffe nicht aufzuhalten. Und so nahmen die Fischer ihr Schicksal selbst in die Hand, kaperten Frachtschiffe und erpressten Lösegeld.
Die Piraterie ging zwar nicht von Somaliland aus, aber hier gab es einen funktionierenden Staat. Fair Fishing baute seine Zentrale in Berbera auf und gründete eine Dependance in Bosaso, Somalia, nahe der Grenze zu Somaliland. Johannsen verstarb 2012. Der Reeder Per Gullestrup stieg ein – aus persönlicher Motivation: Vier Jahre zuvor handelte er als Chef der Reederei Clipper Group mit somalischen Piraten die Herausgabe des Containerschiffs „CEC Future“ aus. Fair Fishing hat die Fischerei in Somaliland verändert, wie es das der Staat bisher nicht vermochte. Den Fischmarkt in Burao und die Kühlkette dahinter etwa baute Fair Fishing auf.
Den Fuß ins Wasser, nicht weiter, aber es sei ein schönes Gefühl gewesen, erinnert sich Zaynab an ihren ersten Tag am Meer. Sie war damals für eine Ausbildung in Berbera – auch die von Fair Fishing finanziert –, lernte lesen und rechnen. Der Job im Fischmarkt ermöglicht ihr jetzt ein kleines Einkommen, umgerechnet ein paar Euro am Tag. Weil ihre vier Kinder in eine Waisenschule gehen, die keine Gebühren kostet, reicht es irgendwie.
Der Kundenandrang im Fischmarkt Buraos hält sich in Grenzen. Im Kühlcontainer stapeln sich 14 Tonnen. Die Frauen verkaufen vielleicht einen Zentner am Tag. Die lokale Nachfrage, so scheint es, reicht noch nicht zur Transformation der Wirtschaft des Landes. Den Somaliländern ist Fisch immer noch fremd. Ein ehemaliger Kindersoldat versucht das zu ändern.
Der Konsum
Bevor Aar Musa Muhammed das erste Mal in ein Fischerboot stieg, zog er an der Seite seines Vaters gegen den Diktator Siad Barre in den Kampf. Aar war damals gerade zwölf Jahre alt. Barre war 1969 durch einen Coup an die Macht gekommen, regierte über ganz Somalia, inklusive des Nordens, des heutigen Somalilands. Siad Barre unterdrückte die dortigen Clans, die sich deshalb gegen ihn wandten. Die Rebellen aus dem Norden nannten sich etwas irreführend Somali National Movement, kämpften aber für einen eigenen Staat.
Aar spionierte Stellungen gegnerischer Truppen aus. Weil er noch so jung war, schien er unverdächtig. Barre bombardierte die Städte und zerstörte Hargeisa, die heutige Hauptstadt Somalilands. Die Rebellen siegten trotzdem – 1991 erklärten sie Somalilands Unabhängigkeit.
Wegen seines Alters warfen sie Aar aus der Armee des jungen Staats. Er ging nach Berbera, wo er als Fischer anheuerte. Nach dem Krieg erschien ihm das Meer wie ein Ort des Friedens, erzählt er, die Küste ein Ort, an dem er sein neues Leben aufbauen konnte. Aar arbeitete sich hoch, erst zum Steuermann, dann zum Bootsbesitzer. Daneben exportierte er Vieh über den Hafen von Berbera auf die Arabische Halbinsel.
Aar ist ein großer Mann, überbordend freundlich, voll positiver Energie, der viel erzählt und seine Zeit als Kindersoldat wie ein großes Abenteuer erscheinen lässt. Er ließ sich nicht davon abschrecken, dass seine Landsleute nicht viel von Fisch hielten. Er war sich sicher, dass er auch Menschen in den Bergen überzeugen konnte. Im Zentrum Buraos eröffnete er 2017 ein Restaurant. Doch kaum jemand kam. Also bot er seinen besten Fisch umsonst an, versuchte die Menschen zu überzeugen, dass es nicht immer Ziege, Hammel oder Kamel sein muss. Das Experiment gelang.
In den beiden Küchen des „Burao Fish Center“, wie er sein Restaurant genannt hat, filetieren, frittieren und grillen ein Dutzend Männer Fisch über offenem Feuer oder in Tonöfen. Die Wände sind schwarz vor Ruß. Nach dem Abendgebet füllt sich das Restaurant, beinahe jeder Tisch ist besetzt. Es gibt Thunfisch und Zackenbarsch. Zwölf Tonnen im Monat verarbeiten sie hier, sagt Aar. Es dürfte das umsatzstärkste Fischrestaurant des Landes sein. Ohne Fair Fishing, sagt er, wäre das nicht möglich. Die Regierung sei nicht sehr hilfreich. „Der Fischereiminister hat nie als Fischer gearbeitet, er hat keine Ahnung“, sagt er.
“Früher waren wir leidende Individuen in diesem Geschäft“, sagt Aar. Fisch, der nicht frisch vor Ort verkauft wurde, schmissen die Fischer weg. Doch heute endet der Verkaufsradius nicht mehr im Dorf, es ist ein Netzwerk entstanden, ein erstes Gerüst, um Einzelunternehmer in einen nationalen Markt zu integrieren. „Der Wandel war atemberaubend“, sagt Aar. Er hofft, dass er irgendwann auch exportieren kann.
DIE ZUKUNFT
Es scheint, als scheitere die Ankündigung der Regierung an der ökonomischen Realität ihres Staats, der keiner sein darf. „Der Plan ist nicht so weit gediehen, wie wir gehofft haben“, sagt Fischereidirektor Ismail. Immerhin gibt es im Kleinen erste Anzeichen, dass er vielleicht doch, zumindest in Teilen, gelingen könnte, vielleicht nicht 2030, vielleicht nicht ein Drittel der Bevölkerung.
Die meisten Fischer können nur im Winter fischen, im Sommer ist das Meer zu rau, die Fische zu weit draußen. Wenn sich das Wasser abkühlt, ziehen die Schwärme nahe der Küste aus dem Indischen Ozean in den Golf von Aden. Boote wie das von Mustafa und Muhammed können nur dann ablegen. Doch in diesem Jahr ließ die Abkühlung auf sich warten, die Fische kamen nicht, und die Saison begann fast zwei Monate später als in normalen Jahren. Der Klimawandel macht an der Küste nicht halt.
Zaynab und Muhammed zumindest haben sich in ihrem neuen Leben eingerichtet, haben ihr altes hinter sich gelassen. Mit ihrer Familie lebt Zaynab am Rand Buraos. Sie haben drei Nomadenhäuser, Hütten aus Wellblech, Ästen und Tüchern, ein kleines Haus zum Kochen, manchmal gibt es auch hier Fisch. Sie hat ein viertes Kind mit einem neuen Mann bekommen, scheint gelöst, lacht viel. „Ich mache mir keine Sorgen mehr.“
Muhammed ist auf sich allein gestellt. Manchmal fühlt er, der Nomade, der zum Fischer wurde, sich einsam in seinem neuen Leben. Am Ende eines jeden Tages auf See sucht er sich in den Straßen Berberas einen Schlafplatz für die Nacht. „Ich will nicht zurück, ich habe Angst vor einer Dürre“, sagt er trotzdem. Muhammed spricht leise, vorsichtig, ein wenig unsicher. Er wirkt ganz anders als auf dem Boot, wenn er bei jedem Fisch, den er aus dem Wasser zieht, vor Freude lacht. Als er davon erzählt, öffnet sich seine Stimme. „Wenn ich einen Fisch fange, fühle ich mich, als hätte ich mein Überleben in der Hand.“
Die Grenzen der Anpassung II
In Somalia gefährdet die derzeitige Rekorddürre das Leben und den Lebenswandel von Millionen von Menschen. Für den Laufe dieses Jahres wird projiziert, dass mehr als acht Millionen von einer Nahrungsmittelkrise betroffen sein werden. Mit Beginn der Dürre 2016 schoss die Zah…